Anwendbarkeit des gemein-spanischen Pflichtteils-Rechts
Der Pflichtteil ist im spanischen Zivilgesetzbuch (Código Civil) - nachfolgend CC -, geregelt. Dessen Recht wird auch als das gemein-spanische Recht bezeichnet ("gemein" steht hier für "allgemein" gültig).
Allerdings haben bestimmte autonome Gemeinschaften eigenes Recht - das sog. Foralrecht (Derecho Foral). Betreffend den Pflichtteil sind dies
- die Balearen (Islas Baleares), wobei Ibiza/Formentera und Mallorca und Menorca eigenes Recht haben (Compilación del Derecho Civil de Baleares);
- Katalonien (Cataluña);
- Galizien (Galicia);
- Navarra (Comunidad Foral de Navarra); und
- das Baskenland (País Vasco).
Soweit diese Gemeinschaften eigene Regeln haben, gehen diese vor (die Regeln des CC gelten ergänzend).
Ob spanisches Recht und ggf. das Recht welcher Gemeinschaft anzuwenden ist, bestimmt sich für Erbfälle ab dem 17.08.2015 in erster Linie nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (reglamento europeo de sucesiones) - kurz EuErbVO; ist danach "spanisches Erbrecht" anzuwenden, sind die Regeln des CC zum Pflichtteil anzuwenden, wenn nicht ausnahmsweise das besondere Recht vorrangig anzuwenden ist. Hierzu verweisen wir im Einzelnen auf den Beitrag Spanisches Erbrecht oder deutsches Erbrecht – welches Recht ist bei einem Erbfall mit Bezügen zu Spanien.
Natur des spanischen Pflichtteils: Noterbrecht
Nach (gemein-) spanischem Erbrecht wird die Testierfreiheit durch die "legítima" bestimmter Personen eingeschränkt, Art. 763 CC. Diese ist im Grundsatz eine dingliche Berechtigung am Nachlass und wird daher in der deutschen Literatur auch als Noterbrecht (legítima) bezeichnet. Der Pflichtteilsberechtigte ist nach dieser Diktion der Noterbe und sein Anteil am Nachlass der Noterbteil.
Pflichtteil/Noterbrecht der Kinder und Abkömmlinge
Noterben sind in erster Linie die Kinder und Abkömmlinge des Erblassers, Art. 807 Ziff. 1 CC. Lebende Kinder schließen ihre Abkömmlinge aus, Art. 933 CC-Spanien. Ist ein Kind vor dem Elternteil (Erblasser) verstorben und hinterlässt es Kinder (also Enkel des Erblassers), so treten diese an die Stelle des Kindes, wobei sie dessen Noterbteil zu gleichen Teilen unter sich aufteilen, Art. 933 CC („Repräsentationsprinzip“). Ist ein Kind erbunwürdig oder wurde dem Noterben der Noterbteil wirksam entzogen, ist er nicht mitzuzählen, Art. 857 CC. Hatte das Kind allerdings Abkömmlinge, haben diese Anspruch auf dessen Noterbteil und werden folglich mitgezählt, Art. 761, 857 CC. Schlägt ein Noterbe sein Erbe aus, so erhalten auch seine Abkömmlinge nichts und der Noterbe wird bei der Berechnung der Erbteile nicht mitgezählt, 997 CC.
Noterbteil
Der Noterbteil ist der Teil des Vermögens des Erblassers, über den er nicht frei verfügen kann (Beschränkung der Testierfreiheit) und welcher nach dem Gesetz den Kindern vorbehalten ist. Zur Ermittlung des Noterbteils ist nach Art. 818 CC
- der Wert des Netto-Nachlass (relictum)
- um die ausgleichungspflichtigen Schenkungen (donatum) zu erhöhen.
Der Wert des Netto-Nachlasses wird durch Abzug der Schulden und Lasten vom Wertes des Aktivnachlasses ermittelt. Maßgeblich ist der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalles. Nicht bei der Berechnung des Wertes des Nachlasses zu berücksichtigen sind die durch Testament auferlegte Lasten (z.B. Vermächtnis oder Auflage).
Wann eine Schenkung "ausgleichungspflichtig" ist, ist in den Artt. 1035 bis 1050 CC bestimmt.
Wichtig: Anders als im deutschen Erbrecht werden alle Schenkungen - ohne zeitliche Begrenzung - berücksichtigt. Dies kann bei der Rechtswahl (professio iuris) eine Rolle spielen!
Ermittlung des individuellen Noterbteils
Es wird zwischen 3 Teilen unterschieden:
- Der strenge Noterbteil (legítima estricta): Das erste Drittel ist jeder Verfügung des Erblassers entzogen. Wurde der Erblasser von mehreren Kindern überlebt, erhalten diese gleiche Anteile am strengen Noterbteil (Art. 932 CC).
- Die Aufbesserung (mejora): Über das zweite Dritte kann der Testator nur zu Gunsten seiner Kinder oder Abkömmlinge verfügen (Art. 823 CC); Beschwerungen (z.B. mit einem Vermächtnis oder Auflage) oder Beschränkungen (z.B. Fideikommiss) der Aufbesserung sind nur zulässig, sofern die Beschränkung einen anderen Noterben oder dessen Abkömmlinge begünstigt, Art. 824 CC (allgemeine Regelung), 782 CC (Fideikommiss). Allerdings ist die Aufbesserung immer mit dem Pflichtteil des überlebenden Ehegatten, welche in einem Nießbrauch an der Aufbesserung besteht, belastet (Art. 834 CC).
- Freies Drittel (tercio de libre disposición): Über das letzte Drittel des Nachlasses kann der Erblasser frei verfügen (Art. 808 Abs. 4 CC). Er kann es insbesondere einem Noterben oder einem Außenstehenden alleine zuwenden.
Anrechnung auf den Noterbteil
Um eine Gleichbehandlung der Noterben sicherzustellen, hat unter den Voraussetzungen des Art. 819 CC-Spanien eine Anrechnung der Schenkungen (Imputación de donaciones) auf den Noterbteil des Beschenkten zu erfolgen.
Hinweis: Anders als im deutschen Erbrecht erfolgt eine Anrechnung unabhängig davon, ob dies im Zeitpunkt der Schenkung bestimmt wurde.
Ein Vermächtnis (oder eine Auflage) zu Gunsten eines Noterben ist nur dann auf die Aufbesserung anzurechnen, wenn der Erblasser dies ausdrücklich bestimmt hat oder wenn sie nicht vom freien Teil gedeckt ist, Art. 828 CC.
Noterbteil der Vorfahren
Wird der Erblasser nicht von Kindern oder anderen Abkömmlingen überlebt, sind dessen Eltern und andere Vorfahren (Aszendenten) Noterben, Art. 807 Ziff. 2 CC. Der Noterbteil der Eltern und Vorfahren beträgt die Hälfte des Nachlasses. Erben sie neben einem Ehegatten, beträgt ihr Noterbteil ein Drittel des Nachlasses, Art. 809 CC.
Noterbteil des Ehegatten und andere Rechte im Erbfall
Zum Kreis der Noterben gehört auch der überlebende Ehegatte, Art. 807 Ziff. 3 CC. Sind die Eheleute getrennt, besteht kein Anspruch, Art. 834 CC. Keine Voraussetzung für eine Trennung in diesem Sinne ist die Beachtung bestimmter Förmlichkeiten. Hat der Erblasser dem Ehegatten in der Form des Art. 84 CC verziehen, erhält dieser auch im Fall der Trennung den Noterbteil, Art. 835 CC.
Neben Kindern und anderen Abkömmlingen erhält der Ehegatte einen Nießbrauch an dem Aufbesserungs-Drittel, Art. 834 CC (siehe hierzu den Beitrag Nießbrauch im spanischen Zivil- und Steuerrecht). Sind keine Kinder und anderen Abkömmlinge vorhanden, erhält der überlebende Ehegatte einen Nießbrauch an der Hälfte des Nachlasses, Art. 837 CC. Sind weder Kinder und andere Abkömmlinge noch Vorfahren vorhanden, erbt der Ehegatte einen Nießbrauch an zwei Drittel des Nachlasses, Art. 838 CC.
Die Erben können vom überlebenden Ehegatten die Abgeltung des (erbrechtlichen) Nießbrauchs verlangen, Art. 839 CC. Hierzu müssen sie dem überlebenden Ehegatten eine Leibrente, die Erträge bestimmter Güter oder Geld zuweisen.
Neben dem Noterbteil erhält der überlebende Ehegatte auch Dasjenige, was ihm auf Grund des Endes der Ehe zusteht. Waren die Eheleute im Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft (sociedad de gananciales) verheiratet, ist dies die Hälfte des Auseinandersetzungsguthabens.
Hinweis: Dies kann bis zu 50 % des Vermögens des Erblassers ausmachen!
Ferner erhält der Ehegatte den Voraus (ajuar doméstico).
Rechtsfolgen der Verletzung des Noterbrechts
Verfügungen, welche den Noterbteil einer Person verletzen, sind wie folgt herabzusetzen
- Zunächst sind Erbeinsetzungen herabzusetzen, Art. 814 CC.
- Sodann sind Vermächtnissen zu Gunsten eines anderen herabzusetzen, Art. 817 CC.
Die Herabsetzung der Erbeinsetzung und von Vermächtnissen erfolgt im Rahmen der Erbteilung. Führt die Herabsetzung der Vermächtnisse und Auflagen nicht dazu, dass der Noterbe seinen Noterbteil erhält, sind etwaige Schenkungen, welche den Noterbteil schmälern, herabzusetzen.
Bei mehreren Schenkungen sind zunächst die letzten Schenkungen herabzusetzen bzw. zu streichen, Art. 656 CC. Ist bei mehreren Schenkungen nicht feststellbar, welche zuletzt erfolgte, sind die Schenkungen zu gleichen Teilen herabzusetzen, Art. 654 Abs. 2 CC.
Gerichtliche Durchsetzung des spanischen Pflichtteils
Ob spanische oder deutsche Gerichte zuständig sind, bestimmt sich nach den Regeln der Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) - siehe hierzu den Beitrag Zuständiges Gericht im internationalen Erbfall. Danach sind regelmäßig die Gerichte des Staates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlicher Aufenthalt (domicilio habitual) hatte (Art. 4 EuErbVO).
Sind spanische Gerichte zuständig und wird dort Klage erhoben, richtet sich das Verfahren nach der spanischen Zivilprozessordnung (LEC). Sofern eine Herabsetzung zu erfolgen hat, ist die Herabsetzungsklage statthaft. Nach Herabsetzung (oder gleichzeitig mit dieser) hat die Erbteilung (partición de la herencia) zu erfolgen, wobei in der Praxis es oftmals zu einer Abfindung des Noterben in Geld kommt. Kommt es nicht zu einer Einigung, wird der Nachlass notfalls durch einen gerichtlich bestelltem Erbteiler (contador-partidor dativo) geteilt.
Sind deutsche Gerichte zuständig und stimmt der Erbe eine Herabsetzung und angemessenen Abfindung nicht zu, stellen sich schwierige Fragen der Anpassung, da deutsche Gerichte im Grundsatz die Regeln des spanischen Zivilprozessordnung nicht anwenden, das spanische Pflichtteilsrecht aber mit diesen eng verzahnt ist. Insbesondere stellt sich die Frage, ob auf Auskunft geklagt werden kann, da ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch dem spanischen Recht fremd ist. Ferner kann zu klären sein, wie und durch wen der Teilungsplan zu erstellen ist.