FG Münster: Nach dem Tod entstehende Kapitalertragsteuer ist keine Nachlassverbindlichkeit

Das FG Münster hat mit Urteil vom 02.11.2023 - 3 K 2755/22 Erb - entschieden, dass bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer (für den Erwerb eines gegen eine GmbH gerichteten Ausschüttungsanspruchs) die nach dem Tod entstehende Kapitalertragsteuer nicht bei der Bewertung zu berücksichtigen ist und keine Nachlassverbindlichkeit ist. 

Auszug aus den Gründen

"a. Der im Vermächtniswege erworbene Ausschüttungsanspruch gegenüber der GmbH ist mit dem Nennwert anzusetzen.

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Kapitalforderungen, die wie im Streitfall nicht unter § 11 BewG fallen, sind gemäß §§ 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. § 12 Abs. 1 BewG mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Ein solcher "besonderer Umstand" setzt voraus, dass es sich um eine besondere Eigenschaft der Forderung selbst handelt, die der Forderung innewohnt, das heißt ihr immanent ist (BFH-Urteil vom 17.02.2010 II R 23/09, BStBl. II 2010, 641, Rz. 11). Derartige besondere Umstände liegen im Streitfall nicht vor. Die Ausschüttungsforderung war im Besteuerungszeitpunkt voll werthaltig. Die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag sind keine der Forderung immanente wertmindernde Eigenschaft. Es handelt sich vielmehr um eine besondere Form der Erhebung von Einkommensteuer (vgl. § 43 Abs. 1 EStG).

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b. Die bei der Auszahlung der Gewinnausschüttung einbehaltene Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag ist erbschaftsteuerlich beim Kläger nicht als Nachlassverbindlichkeit in Abzug zu bringen. Insbesondere liegt kein Fall des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vor.

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Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, LuF-Betrieb oder Anteil an einem LuF-Betrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind. Der Abzug setzt nicht zwingend voraus, dass beim Tod des Erblassers, also zum maßgeblichen Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), eine rechtliche Verpflichtung bestanden haben muss (BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, Rz 15, m.w.N.). Vom Erblasser herrührende Schulden können auch bei Erwerbern, die keine Erben sind, Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sein (BFH-Urteil vom 15.06.2016 II R 51/14, BStBl. II 2018, 194). Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist jedoch, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa erst der Rechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb für den Erblasser als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht (BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11BFHE 238, 233, BStBl II. 2012, 790).

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Bei Anwendung dieses Maßstabs auf den Streitfall erfüllen die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag nicht die Merkmale von Nachlassverbindlichkeiten i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Zwar wurde die wirtschaftliche Ursache für die Belastung der Ausschüttung mit Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag bereits vor dem Todeszeitpunkt gesetzt. Denn sobald die Ausschüttung durch die Gesellschafterversammlung beschlossen war, stand fest, dass für die nicht beherrschenden Gesellschafter im Zeitpunkt der Fälligkeit des Zahlungsanspruchs zugleich Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag einzubehalten und abzuführen war, § 43 Abs. 1 EStG. Der für die Abzugsfähigkeit bei der Erbschaftsteuer maßgebliche Umstand, die Verwirklichung des einkommensteuerlich relevanten Tatbestandes, war indes vor dem Tod des Vermächtnisgebers durch die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung noch nicht verwirklicht. Denn es fehlte insoweit noch am den Tatbestand begründenden Zufluss der Ausschüttung. Die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag entstand gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG erst in dem Zeitpunkt, in dem der Kapitalertrag dem Kläger als Gläubiger zufloss. Gewinnanteile und andere Kapitalerträge im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, fließen dem Gläubiger der Kapitalerträge, wenn er - wie die Kläger und zuvor sein Vater - nicht beherrschender Gesellschafter der Gesellschaft ist, erst an dem Tag der Auszahlung zu, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. BFH-Urteile vom 12.07.2021 VI R 3/19, BFH/NV 2022, 9; vom 02.12.2014 VIII R 2/12, BStBl. II 2015, 333). Der steuerrelevante Tatbestand wurde deshalb erst nach dem Tod des Vaters in der Person des Klägers vollendet. Bei dieser Sachlage wurde die Kapitalertragsteuer nicht für den Vater, sondern für den Kläger selbst einbehalten.

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c. Schließlich gebietet der Umstand, dass die Ausschüttung beim Kläger einen Kapitalertragsteuertatbestand verwirklicht und damit eine besondere Form der Erhebung der Einkommensteuer auslöst, nicht, dass deshalb die Erbschaftsteuerbelastung des Klägers sinken müsste.

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Dass ein Sachverhalt kumulativ der Erbschaftsteuer und der Einkommensteuer unterliegt, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Auch in den Fällen, in denen sich die Einkommensteuer nicht nach § 35b EStG ermäßigt, ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehalten, einen Ausgleich zwischen beiden Steuerarten zu schaffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), der sich der erkennende Senat anschließt, ergibt sich aus der Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer nicht zwingend eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2015 1 BvR 1432/10BFH/NV 2015, 1069). Auch nach der Rechtsprechung des BFH und der herrschenden Literatur ist eine Doppelbelastung mit Schenkung-/Erbschaftsteuer und Einkommensteuer grundsätzlich unbedenklich, da es um unterschiedliche steuerauslösende Tatbestände geht (vgl. BFH-Urteile vom 25.06.2021 II R 31/19, BStBl. II 2022, 497; vom 17.02.2010 II R 23/09BStBl. II 2010, 641; vom 07.12.1990 X R 72/89, BStBl. II. 1991, 350; Seer, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl 2020, § 35b Rn. 1 m. w. N.; Schulz, in Herrmann/Heuer/Raupach, 301. Lieferung Dezember 2020, § 35b Anm. 3 m. w. N.). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Wahl des Steuergegenstandes, also der Steuerquelle, einen weiten Gestaltungsspielraum. Mithin besteht auch kein Verfassungssatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt sein müssten, also etwa keine Lücken entstehen dürften bzw. mehrfache Belastungen vermieden werden müssten (BFH-Urteil vom 18.01.2011 X R 63/08BStBl. II 2011, 680)."

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